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kreuzer_10_2013

Böse lauernder Stahlbeton: Argumente für einen Raketenbeschuss

029 Titel1013 Termine 084 Kunst 072 Literatur 068 Theater 058 Musik 046 Spiel 044 Film 038 BÖSE LAUERNDER STAHLBETON Argumente für einen Raketenbeschuss des Völkerschlachtdenkmals Einst galt das Völkerschlachtdenkmal als eines der bedeutendsten Betonbauwerke Deutschlands. Neunzig Prozent seines Bau- körpers bestehen aus Beton, im Kuppelbereich stählern armiert. Monolithe des Beuchaer Granitporphyrs verblenden den Betonkorpus. Stegemanns lexikalisches »Handwörterbuch der gesamten Baustoffkunde«, erschienen 1941, widmet dem Beuchaer Granitporphyr ein ganzes Stichwort. Besondere Eignung für den Denkmalsbau wird ihm dort zugesprochen. Mit grob behauenem Naturstein beschwor der Wilhelminismus den Geist des Alten Reiches. Für das Werk des wilhelminischen Monumen- talarchitekten Bruno Schmitz gilt dies in besonderer Weise. Im Jahr 1907, während der Bauzeit des Völkerschlachtdenkmals, hatte sich der Deutsche Ausschuss für Stahlbeton konstituiert. Wie alle Einrichtungen zur Nor- mierung und Standardisierung arbeitete er an der planmäßigen und bösartigen Verwendung des auch Nützlichen. Neue Verfahren kamen auf, neue Güteklassen. Vormals nicht für möglich gehaltene Stützweiten wurden erreich- bar. Die Sprache der Technik nahm die Sprache künftiger Menschenbehandlung vorweg: Peiner- Betonsonderstahl, Benziger-Betonsonderstahl waren Handelsnamen für hochwertige Sonder- stähle. Seit 1906 erscheint zudem der Beton- kalender als Jahrbuch für den Beton- und Stahl- betonbau. Er beschreibt den Jahreskreis des Stahlbetons, das Stahlbetonjahr: Wie der Stahl- beton den sauren Wassern der Moore, den sal- zigen der Meere trotzt, wie er agressiver Indus- trieluft widersteht und an den feurigen Stätten von Überfliegung und Bombardement über- dauert. Aus baustoffästhetischer Sicht kann das Völkerschlachtdenkmal nur als Wolf im Schafspelz angesprochen werden. Sein Stahl- beton lauert, wie Stahlbetone immer und über- all gelauert haben und lauern. Bösartig. Das Lauern des Stahlbetons endet, wenn massiver Beschuss einwirkt. Stahlbeton ist der ikono- grafische Baustoff des 20. Jahrhunderts. Und das Völkerschlachtdenkmal ist ihm, dem lau- ernden Stahlbeton, verhaftet. Der Granit oder porphyre Granit als guter Naturstein vermag hieran nichts zu ändern. Denn zusammen mit dem Basalt und dem Quarz wird er seit bald hundert Jahren als Hartbetonstoff herabgewür- digt, dem Beton zu dessen Härtung beigemengt. Man sollte es unter Beschuss nehmen, das Völ- kerschlachtdenkmal. Mit Boden-Boden-Rake- ten, von Peenemünde aus oder aus den sump- figen ostpreußischen Mauerwäldern heraus. Von einer Stätte des Stahlbetons zur anderen sollte man feuern, um das böse, bösartige Lau- ern des Stahlbetons kenntlich zu machen und also ihm, dem Lauern, ein Ende. Von der Wolfs- schanze mit ihren nicht wegschaffbaren, tau- sendjährig verrottenden Stahlbetonbunkern bis Leipzig sind es Luftlinie weniger als 700 Kilometer. Eine Short Range Ballistic Missile (SRBM), eine Kurzstreckenrakete, genügte. Die Völkerschlacht war kein alter Krieg, kein Krieg der Ritter oder Kreuzzügler. Die Völkerschlacht trägt bereits Züge des modernen, des totalen Krieges, des Krieges der Techniker. Andreas Platthaus beschreibt in seinem kürzlich bei Rowohlt erschienenen Buch »1813 – Die Völker- schlacht und das Ende der alten Welt« den Raketeneinsatz während der Befreiungskriege. Eine britische Brigade, die Rocketeers, beein- druckte mit der Raketentechnik des Barons Sir William Congreve (1772–1828), »eines jener selbsternannten Universalgenies, wie sie das Zeitalter der Aufklärung so zahlreich hervor gebracht hat«. Congreve verfasste in seinem Leben fünfzehn Traktate über Bau und Einsatz von Raketen. Die Wirkung der Congreve’schen Fernwaffe beschrieben Zeitzeugen in ein- drücklicher Weise: »Wen diese feurigen Drachen anspien, der mußte bei lebendigem Leibe verbrennen, denn der harzige Stoff ihrer Ladung haftete am Fleisch unabtrennbar und unauslöschlich.« Das Zurücktreten des face- to-face-killing zugunsten eines maschinenmä- ßigen und massenhaften Tötens aus der Distanz ist das Signum moderner Kriege. Der Folklore der bunten Uniformen und der Nach- stellung historischer Schlachtanordnungen, die Leip- zig 200 Jahre nach der Völkerschlacht bevorsteht, wohnt mithin eine perfide Geschmacklosig- keit inne. Die Armierung des Betons mit Stahl soll jene überschießenden Zugkräfte aufnehmen, denen der unbewehrte Beton nicht würde standhalten können. Stahlbewehrter Beton erlaubt bauliche Ausführungen, die vormals undenkbar erschienen. Wie aller Fortschritt kennt auch der des Stahlbetons seine Dia- lektik. Sonderstähle höherer Güte genügen nicht nur größeren Zugkräften, sondern lassen ihrerseits immer größere, mächtigere Zugkräfte auf den Plan treten. Wird der Stahlbeton befes- tigter Anlagen widerstandsfähiger, wächst bald die Feuerkraft der angewendeten Waffen. Zwischen den britischen Raketen zu Zeiten der Völkerschlacht und dem hundert Jahre später im Völkerschlachtdenkmal verbauten stahlbe- wehrten Beton wirkt ein nicht lediglich symbolischer Konnex bösartiger Dialektik des Fortschritts von Baustoffgüte einerseits und Vernichtungspotenz der Fernwaffen anderer- seits. Damit bleibt das Völkerschlachtdenkmal allein Denkmal seiner Epoche – also jener Zeit um 1914, da die alten Imperien in Europa blutig untergingen. Es bleibt bösem, lauerndem Stahl- beton verhaftet. Von Johann Felix Baldig

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