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kreuzer_10_2013

040 Film Rezensionen 1013 Film 038 Spiel 044 Musik 046 Theater 058 Literatur 068 Kunst 072 Termine 084 01 02 03 01 ART/VIOLENCE KUNST DEM KRIEG USA 2013, 75 min, Dok, OmU, R: Udi Aloni, Batoul Taleb, Mariam Abu Khaled KKKKKDieroteKöniginschreitetraumgrei- fend durchs Bühnenrund. Im Rau- schekleid räkelt sich die Repräsen- tantin der Macht zu Blondies »One Way Or Another«. Für den Tanz vor Männern muss sich die Schauspie- lerin später rechtfertigen. Denn dies ist keine normale Inszenierung von »Alice im Wunderland«, sie fin- det im Freedom Theatre im Flücht- lingslager Dschenin statt. Hier sol- len Jugendliche Selbstvertrauen finden und so etwas wie palästinen- sische Identität – die patriarchal- religiöse Realität zeigt sich in Wahr- heit aber härter als die israelischen Kontrollen. Zwar blendet der Film dieses innerpalästinensische Rin- gen streckenweise aus, aber leugnen lässt es sich nicht. Schon der Anlass des Films zeigt dies: Der Grün- der des Theaters Juliano Mer-Kha- mis wird 2011 vor dessen Tür von Maskierten erschossen, bis heute schieben sich Hamas und Fatah gegenseitig die Schuld zu. Besagte »Alice«-Inszenierung ist seine letzte Regiearbeit. Der Dokumentarfilm lässtseineSchüler und Mitstreiter zu Wort kommen: etwa über die Kraft des Theaters, wenn sie mit »Warten auf Godot« auf Mer-Khamis’ Ermor- dung reagieren. Es sind seltsamer- weise allesamt europäische Stoffe, die zum Kulturwerk des palästinen- sischen Nationbuildung beitragen sollen. Wie nicht anders zu erwar- ten, wird aus dieser Perspektive der Staat Israel undifferenziert betrach- tet. Aber wenn gerade die Frage der Frauenrechte immer wieder auf- bricht im Gezeigten, wenn sich die Mimin der roten Königin erklären muss und die Frauen selbst über Sit- tenverfall und Patriarchat streiten, gewinnt der Film. Denn dann wird sichtbar, dass die Parteien im Nah- Ost-Konflikt nicht so monolithisch sind. Zumindest den Filmprotago- nisten geht es mit dem Freedom Theatre doch um mehr, als Abbas & Co. in die nächste Intifada zu steu- ern – Freiheit steht hier auch für das Wort und die Kunst. TOBIAS PRÜWER ▶ Cinémathèque in der naTo, 21./22.10., am 21. mit Filmgespräch 02 THE BUTLER MEHR ALS EINE GESCHICHTSSTUNDE USA 2013, 130 min, R: Lee Daniels; D: Forest Whitaker, Oprah Winfrey, Mariah Carey KKKKK»Der Raum muss sich leer anfüh- len, wenn du darin bist«, erklärt der Vorgesetzte den Leitsatz des Butler-Handwerks. Nichts sehen, nichts hören, nicht auf die Gesprä- che reagieren, nur bedienen – die Regeln totaler Diskretion gelten in besonderem Maße für die Hausan- gestellten im Weißen Haus. Die But- ler sind gleichzeitig Bedienstete, Geheimnisträger und Kontinuum überdieLegislaturperiodenhinweg. Historie aus der Dienstbotenpers- pektive bietet Lee Daniels in »The Butler« und erzählt die leicht fiktio- nalisierte Lebensgeschichte von Cecil Gaines, der von 1952 bis 1986 unter acht verschiedenen Präsi- denten im Weißen Haus arbeitete. Nicht nur weltpolitisch mit Kuba- krise und Vietnamkrieg, sondern auch innenpolitisch mit dem Auf- kommen der schwarzen Bürgerbe- wegung fallen Cecils 34 Dienstjahre in eine bewegte Zeit. Daniels erzählt die kontroverse Zeitgeschichte als Generationskonflikt. Denn wäh- rend Cecil im Oval Office serviert und stummer Zeuge politischer Diskussionen auf oberster Entschei- dungsebene wird, kämpft sein ältes- ter Sohn Louis in der Bürgerrechts- bewegung, beteiligt sich zunächst am gewaltlosen Widerstand Mar- tin Luther Kings und schließt sich nach dessen Ermordung den Black Panthers an. Der Konflikt zwischen Butler und Bürgerrechtsaktivist beschreibt den Paradigmenwechsel in der afroamerikanischen Identität während der sechziger und siebzi- ger Jahre, in denen sich die Lebens- bedingungen für Schwarze in den USA radikal änderten. Der Film ver- handelt beide Positionen gleich- berechtigt nebeneinander. Forest Whitaker ist hervorragend in der Rolle des Butlers, der seit seiner Kindheit als Diener herangezogen wird. Er lernt, den Weißen ein stets serviles Dienstleistungsgesicht ent- gegenzubringen und dahinter trotz- dem die eigene Würde zu bewahren. MARTIN SCHWICKERT ▶ Passage Kinos, ab 10.10. 03 DRECKSAU VORZEIGE-ANTIHELD GB 2013, 94 min, R: Jon S. Baird; D: James McAvoy, Jamie Bell KKKKKMit Verlaub, der schottische Poli- zist Bruce Robertson ist ein ech- tes Arschloch. Er lügt und betrügt, säuft, nimmt Drogen, er beläs- tigt sogar die Ehefrau seines bes- ten Freundes. Obwohl, nein, wirk- liche Freunde hat Bruce nicht. Mit sozialen Kontakten tut er sich schwer. Seine Frau und seine Toch- ter haben ihn verlassen und sie kehren offenbar erst zurück, sollte er befördert werden. Anstatt sich im Revier für diesen Posten durch vorbildliches Verhalten zu emp- fehlen, diskreditiert Bruce lie- ber seine Kollegen. Irvine Welsh hat mit Bruce Robertson in sei- nem Buch »Filth« einen Vor- zeige-Antihelden erschaffen, der sich schwer in 90 Minuten ver- filmen lässt. Zu arge Kuriositä- ten aus der literarischen Vorlage, wie die Kommunikation zwischen Bruce und einem Bandwurm, der im Körper des Polizisten heran- wächst, lässt Regisseur Jon S. Baird wohlweislich aus dem Film he- raus. Dabei bleiben Hintergrund- informationen auf der Strecke, die den Charakter des korrupten Poli- zisten abrunden würden. Doch was inhaltlich fehlt, wird im Film durch einen absolut brillanten Hauptdarsteller wieder entschä- digt. James McAvoy gelingt es, sich von einer Sekunde auf die andere vom blauäugigen netten Jungen in einen vollkommen Wahnsin- nigen zu verwandeln. Für Bruce sind Drogen, Sex und Gewalt ein netter Zeitvertreib, und falls sich diese Gelegenheiten nicht bieten, klaut er eben einem Kind seinen Luftballon. Aber natürlich hat er auch ein dunkles Geheimnis, das sein Psychiater mit Schmerzmit- teln zu bekämpfen versucht. Sich »Drecksau« im schottischen Origi- nal anzusehen, ist dabei unbedingt empfehlenswert. Denn der rotzige Dialekt hat einen großen Anteil an der düsteren Grundstimmung des Films und lässt sich nur schwer ins Deutsche übertragen. HANNE BIERMANN ▶ CineStar, Passage Kinos, ab 17.10. 04 DER GLANZ DES TAGES ZWEI LEBENS- ENTWÜRFE AT 2012, 90 min, R: Tizza Covi, Rainer Frimmel; D: Philipp Hochmair, Walter Saabel, Vitali Leonti KKKKKIn ihrem semidokumentarischen Spielfilm »Der Glanz des Tages« stellen Tizza Covi und Rainer Frim- mel die Lebensentwürfe des Schau- spielers Philipp Hochmair und des Zirkusmannes Walter Saabel neben- einander. Nur grob wird eine Spiel- filmhandlung skizziert. Vor Hoch- mairs Wohnungstür steht eines Tages der unbekannte Onkel aus Rom, der in der Familie als Tauge- nichts gilt. Der Schauspieler und der Bärenringer lernen sich in der Hek- tik des Theateralltages kennen, ent- decken Gemeinsamkeiten zwischen dem Leben auf der Bühne und in der Manege, und bald bezieht Onkel Walter Quartier auf dem Sofa in der Wiener Wohnung des Neffen. Die Leben des gefeierten Theater- stars, der vom »Woyzeck« bis zum »Gestiefelten Kater« in bis zu neun Inszenierungen parallel spielt, und des erfahrenen Artisten, der sich bei der Bärendressur schon fast jeden Knochen gebrochen hat, komplet- tieren sich in Gesprächen zu einem wirkungsvollen filmischen Mosaik. Dabei bleiben die Grenzen zwi- schen Wirklichkeit und Fiktion, zwi- schen Theater und wahrem Leben beständig im Fluss. Auf der einen Seite schleicht sich der Film über den Bühneneingang in die Schau- spielerexistenz ein, auf der ande- ren erdet der wunderbare Walter Saabel mit seinen Erinnerungen an die Manege und die Kindheit die Angelegenheit durch die Lebens- erfahrung des Alters. Wenn Saa- bel anfängt, sich um die Kinder der moldawischen Nachbarsfamilie zu kümmern, deren Mutter nicht wie- der nach Österreich einreisen kann, fließt auch ein Stück der sozialen Gegenwart in den Diskurs ein. Mit »Der Glanz des Tages« ist Covi und Frimmel ein Kabinettstück filmi- scher Wahrhaftigkeit gelungen, in dem sich die Kontraste des echten Lebens auf das Schönste spiegeln. MARTIN SCHWICKERT ▶ Schaubühne Lindenfels, 1., 4./5.10. 04

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